1. Projektbereich I — Selbstbestimmung, gesundheitliches Wohl, Sicherheit und Zwang in der Psychiatrie

    In Situationen, in denen Menschen mit psychischen Erkrankungen eine erhebliche Gefahr für sich oder andere darstellen, können sie in Deutschland und vielen anderen Ländern unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen gegen ihren natürlichen Willen in einem Krankenhaus untergebracht und behandelt werden. Bei der Entscheidung zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen werden verschiedene Werte gegeneinander abgewogen: das Recht auf Selbstbestimmung der Patient*innen, deren gesundheitliches Wohl sowie die Sicherheit der Patient*innen und Dritter. In unserem Projekt arbeiten wir mit einer weiten Definition von Zwang, die auch sogenannten informellen Zwang bzw. psychologischen Druck einschließt. Dabei wird durch verschiedene kommunikative Mittel wie Überzeugung, Ausnutzung zwischenmenschlicher Beziehungen, Anreize oder Drohungen versucht, die Zustimmung der Betroffenen zu erhalten.

    Dabei ergeben sich wichtige konzeptionelle und ethische sowie empirische Fragen, die in diesem Projektbereich in verschiedenen Arbeitspaketen genauer untersucht werden:

    - Gemäß dem methodischen Ansatz des SALUS-Projektes starten wir „bottom up“ mit der Untersuchung der Einstellungen der verschiedenen Stakeholder zum Thema Zwang. Durch sowohl qualitative als auch quantitative Verfahren werden die Einstellungen von Betroffenen, Angehörigen von Betroffenen, psychiatrischen Professionellen sowie der Allgemeinbevölkerung ermittelt.

    - Trotz der zentralen Rolle des Wohlergehens in der Rechtfertigung von Zwangsmaß-nahmen haben psychiatrische Professionelle und Betroffene oft unterschiedliche Perspektiven darauf, was unter dem Begriff „Wohl“ zu verstehen ist. In einem Teilprojekt entwickeln wir eine Konzeption des Wohls, die sowohl subjektive als auch objektive Aspekte berücksichtigt.

    - Um psychiatrische Professionelle bei der Abwägung zwischen Selbstbestimmung und Sicherheit zu unterstützen, wurden Verfahren zur Risikoeinschätzung entwickelt. Wir untersuchen u. a. die Rechtfertigungskraft solcher sicherheitsbezogenen Erwägungen.

    - Das Konzept und die Normen von Zwang sollen weitergehend analysiert werden. Denn obwohl sich grundlegende philosophische Ansätze bei der Analyse als fruchtbar erwiesen haben, werden psychiatriespezifische Anforderungen in diesen Ansätzen oftmals nicht adäquat berücksichtigt.